Es ist schon wieder was passiert.
Jetzt an der Schauspielausbildung der Universität für Musik und darstellende Kunst in Wien. Die Einschläge in den Musik- und Kunstausbildungen werden mehr: erst, im Jahr 2022, die Filmabteilung, jetzt die Schauspielausbildung. Die Vorwürfe an der Ballettakademie der Wiener Staatsoper, bekannt seit 2019, zählen dazu.
Was ist jetzt passiert: Die Studentinnen und Studenten der Abteilung des nach Max Reinhardt benannten Seminars habe in einem offenen aber nicht veröffentlichten Brief eine stärkere Präsenz der Lehrenden gefordert, Unterricht in den vorgesehenen Räumen und ein wertschätzendes produktives Lehrverhalten.
Eine Trackingliste schaut immer ähnlich aus: Sie beginnt mit der Veröffentlichung der Vorwürfe, geht weiter mit begütigendem Abwiegeln, einschüchterndem Relativieren, empörter Überraschung bis zum ehrlichen Beteuern der Ahnungslosigkeit, steigert sich zur emotional-wortreichen Selbst-Verteidigung der Betroffenen bis zum furios-eleganten Abstreiten und der Forderung nach Fairness und Schutz. Irgendwann dazwischen kommt das hierarchische „Zu deinem Besten“, das relativierende Kleinreden. Jetzt teilt sich die Reaktionskette in eine Vielfältigkeit, in der die Player gemäß den einzelnen Möglichkeiten und Machtpositionen ihre Karten ausspielen. Ernstnehmen und Zeit gewinnen in der Ankündigung, Gespräche zu führen. Partei ergreifen für die Beschuldigten unter gleichzeitiger Bekanntgabe der Unkenntnis der speziellen Situation, am besten in einer Kolumne: das geht zusammen mit der Abwertung der Beschwerde Führenden: larmoyant, schwammig, blühender Unsinn! Und: Den Niedergang der Kultur ausrufen, die Verkommenheit des österreichischen Kulturbetriebs konstatieren.
Ist es Niedergang, der mit einem Aufstand begann? Eine Analyse der Aktion der Studierenden, zu der sich zwei Drittel bekannt haben, zeigt Mut und die Bereitschaft sich zu solidarisieren mit jenen, denen, vielleicht ja nicht allen, Abwertung widerfahren ist. Die Forderung nach einer Veränderung ist stark und begründet. Die Einschätzung der Situation und die Benennung des Fehlverhaltens ist einer geänderten Gesetzeslage geschuldet wie einer Rückendeckung durch Lobbys und Verbände. 2021 haben #die_regisseurinnen Gleichberechtigung, Transparenz und gegenseitigen Respekt in der Regiearbeit gefordert. FC Gloria – die Frauen* Vernetzung Film setzt sich seit 2010 für Geschlechtergerechtigkeit, Gleichbehandlung, Diversität, der fairen Aufteilung der Ressourcen, der Wertschätzung und des Respekts ein. Das Österreichische Filminstitut praktiziert Gleichberechtigung und Gleichstellung in den Fördervergaben. Seit 2019 wird
sexuelle Belästigung mit Freiheitsstrafe juristisch beantwortet, 2019 ist #we_do! begründet, eine Anlaufstelle für alle Filmschaffende, die mit Diskriminierung, Ungleichbehandlung & sexuellen Übergriffen, Machtmissbrauch, sowie Verletzungen im Arbeitsrecht konfrontiert sind. Seit vergangenem Jahr gibt es VERA, die Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt in Kunst, Kultur und Sport. Die stimm-IG,
Plattform darstellender Künstler*innen, setzt sich in ihrer Umfragearbeit und ihrem Positionspapier seit 2020 gegen Machtmissbrauch in den Führungsebenen mit einem Schwerpunkt auf sexueller Nötigung ein. Längst gibt es Anweisungen und Vorschläge wie die kontinuierliche Protokollierung und die Videodokumentation des Unterrichts.
Es ist nicht genug passiert: Ein Leitfaden in Gender-gerechter Sprache ersetzt nicht die wissenschaftliche Verpflichtung, eine Stabsstelle und ein Gleichbehandlungskreis ersetzen kein feministisches Musikologie-Studium, eine Ringvorlesung erst recht nicht.
Was muss passieren: Es fehlen weiteren Lobby-Strukturen für Schauspielerinnen oder für weibliche Musikschaffende. Es fehlt verpflichtendes kontinuierliches Gender Monitoring, dotiert, veröffentlicht und zu Konsequenzen führend.
Was noch? Nicht nur wie miteinander gearbeitet wird, sondern auch woran: eine Auswahl des Repertoires, an dem gelernt wird, verlangt die Lebenserzählungen von Mutterschaft bis zum Schmerz der Abtreibung, von der Gewalt gegen Frauen bis zur Ausbeutung, es braucht die Kunst jener Frauen in den Lehr-Kanon, die sich selbst als neurodivers, queer, farbig bezeichnen.
Der Höllenfahrt des Mozart´schen Don Giovanni, schnell in den Tiefen des Bühnenunterbodens vergessen und vom heiteren Sextett abgelöst, steht die Anklage der Opfer, der Gang durch die Hölle, entgegen, wie in der 2-Personen-Oper der Komponistin Ellen Reid, die im Libretto der Roxie Perkins die Todesqualen einer Vergewaltigten aufgreift. Dem Millionenprojekt Johann Straus 2025 stehen das Repertoire der Komponistinnen und Unternehmerinnen gegenüber, die wie die Familie Strauss ihre Kapellen organsierten und inszenierten.
Niedergang, Aufbruch, Aufstieg – die ersten Stufen sind erklommen.
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